LICHTE MOMENTE 2012

Junge Frauen schürzen für das Internet ihre Lippen, um in die Liga der »Duckfaces« aufgenommen zu werden, ein Paar startet auf arg beengtem Raum in einer Flasche in den Tag und ein Sofa sowie eine Waschmaschine werden zum Schauplatz eines skurrilen »Flotten Dreiers«. Menschen in ihren intimsten Momenten stehen in diesem Jahr im Mittelpunkt des Medienkunstprojekts »Lichte Momente«. Fassaden und Schaufenster der Altstadt werden in der Weihnachtszeit wieder zu Projektionsflächen für Videos: Heitere, provokante, kritische, ironische, nachdenkliche werden zu sehen sein. Das Heger-Tor-Viertel wird so zum flirrenden Entdeckungspfad, der auch interaktive Installationen bietet. Die Filme, die Ideengeberin Valérie Schwindt-Kleveman in Kooperation mit dem European Media Art Festival ausgesucht hat, beschäftigen sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig mit den Themen Voyeurismus, Anonymität und Intimität.

Künstler*innen

Levi van Veluw, Origin of the Beginning, 2012, 3:54 Min.

Die Serie »Origin Of The Beginning« besteht aus Fotografien, Installationen und Videos, mit deren Hilfe der Künstler seine Kindheitserinnerungen darstellt. Erzählerisch entwickelt er seine persönliche Sicht und verdichtet sie zu einem eindrucksvollen Selbstporträt.

Authentic Boys und Theater Company Banality Dreams, Threesome, 2010, 10:00 Min., Regie: Johannes Dullin

»Threesome« ist die erste Kooperation zwischen den Performern Authentic Boys (Rotterdam-Berlin-Genf) und der Theater Company Banality Dreams (Berlin). Ist Pornografie die Antwort auf unser unverkennbares Bedürfnis nach physischem Kontakt oder bloß eine Art virtueller Aspekt der Sexualität? Auf jeden Fall bildet die physikalische Berührung das Zentrum von »Threesome«.

Sarah Strassmann, Expanded Pictures, 2012, 3:00 Min.

»Expanded Pictures« basiert auf einem Archiv von sogenannten »Duckface«-Profilfotos aus Online-Netzwerken. Die aneinander gereihten Portraits spiegeln die Austauschbarkeit digitaler Fotografien wieder, die via Handy aufgenommen und in das Internet eingespeist werden. Der Vorgang des Fotografierens an sich scheint zu einem performativen Akt zu werden, während die Bilder selbst zu Stereotypen avancieren.

Claudia Liekam, Anima Mundi, 2001, 03:21 Min.

Transparenz ist das auffallendste Merkmal von »anima mundi«. Drei verschiedene Schichten überlagert Claudia Liekam zu einem Video von sinnlich-ästhetischer Leichtigkeit, das gleichzeitig die Erfahrung einer Grenzüberschreitung thematisiert.

Jessica Koppe, Und selbst wenn..., 2011, 2:10 Min.

Projizierter Loop mit lebensgroßen Tusche-Zeichnungen auf Aquarellpapier und Papierobjekten. Die Animation zeigt eine Figur, die ähnlich ausweglos wie Sisyphos in der griechischen Sage Dinge heran schafft.

Betty Boehm, Am Sonntag woll'n wir segeln gehen, 2011, 33:11 Min.

In einer Flasche, eingeschlossen in Eis, führt ein junges Paar ein reichlich skurriles Leben. Auf engstem Raum herrscht bereits nach dem Aufstehen reges Treiben: Man macht Morgengymnastik, wäscht und schminkt sich, frühstückt und macht sich schick für die Arbeit…Eine kleine Parabel über den Sinn des Lebens.

Mikko Gaestel, Tenants, 2010, Rückprojektionen, 19 Min., Loop

»Tenants« besteht aus drei Rückprojektionen hinter Fenstern eines Wohnhauses. Die Bewohner der nebeneinander liegenden Zimmer performen eine minimalistische Choreografie des Alltäglichen, die tatsächliche Beobachtungen zu einer Inszenierung zusammenfügt und den Voyeurismus der Betrachter zurückspiegelt.

Wolfram Lakaszus, Fensterzurmauer, 2012, Interaktive Installation

Wer liegt da im Fenster und überwacht den öffentlichen Verkehrsraum vor seinem Haus? In einer vielschichtigen Installation erscheint nachts nicht nur der Überwacher, sondern auch sein Abbild auf einer Hauswand. Und wer späht vorsichtig in ein scheinbar öffentliches Fenster? Offenbar kontrolliert auch jemand den Überwachungsmonitor…

Jugend-Wettbewerb »Stars im Netz?«

Erstmals präsentiert das Projekt »Lichte Momente« in diesem Jahr auch die Ergebnisse eines Wettbewerbs für jungen Leute: »Stars im Netz?« nennt sich der Videowettbewerb, der im Vorfeld von »Lichte Momente 2012« durchgeführt wurde. Jugendliche und junge Erwachsene aus Stadt und Landkreis Osnabrück entwickelten und realisierten Videoideen zum Thema Persönlichkeit und Selbstdarstellung im Internet. Wer ist ein Star? Sind es Menschen aus der eigenen Umgebung? Oder kann man selbst zum Star werden, indem man sich im Internet präsentiert? Der Wettbewerb lädt Teilnehmer dazu ein, ihr Verständnis zum Thema Stars und deren Inszenierung im Internet zu thematisieren und dann selbst als Filmemacher tätig zu werden. Die besten Beiträge werden genauso wie die medienkünstlerischen Arbeiten als Außenprojektion präsentiert. Drei besonders herausragende Beiträge werden außerdem mit Sachpreisen ausgezeichnet. »Stars im Netz?« wird durchgeführt vom Verein »Institut für Internetpädagogik e.V.« in Kooperation mit »Lichte Momente 2012« und dem European Media Art Festival - mit freundlicher Unterstützung der Friedel und Gisela Bohnenkamp-Stiftung.

Jugend-Workshop »Momentaufnahme«

Der Workshop unter der Leitung von Sascha Göpel ist eine Kooperation zwischen dem European Media Art Festival und FOKUS e.V. im Rahmen der Jugend-Kultur-Tage 2012. »Privatsphäre, Voyeurismus, Neugier, Datenschutz« sind Themen und Konfliktfelder, mit denen sich Jugendliche täglich konfrontiert sehen. Doch wie häufig wird eigentlich über diese Sachverhalte nachgedacht? Was gebe ich im Netz von mir preis? Und was erfahre ich unfreiwillig von anderen? Vieles ist wie ein Blick in ein offenes Fenster. Und genau dort setzt der Workshop an. Die Fenster einer Hauswand werden virtuell vervielfältigt. Die neuen Rahmen bieten Raum für die Projektion dessen, was dahinter liegen könnte... Unter Anleitung eines professionellen Videokünstlers sind die Inhalte der Videoinstallation für »Lichte Momente« entwickelt und gefilmt worden. Den Jugendlichen bietet sich die Chance, ihre Arbeiten neben namhaften Künstlern in der Altstadt zu präsentieren und Teil eines wichtigen Kunstprojektes zu sein.

Fotos: Tom Bullmann